Neulich meldete sich wieder einmal mein schlechtes Gewissen bei mir. Es war ein ganz normaler Tag. Ich hatte Junior in den Kindergarten gebracht und saß nun auf dem Sofa und sah ein wenig fern. Mitten am Tag. Ich hatte alles erledigt, was ich mir für diesen Tag vorgenommen hatte und saß nun mit der Fernbedienung in der Hand einfach so da und guckte fern. Ich hatte noch eine Stunde Zeit, ehe ich zur Arbeit fahren musste. Ich saß also dort und guckte. Und dann war da auf einmal mein schlechtes Gewissen. Ich saß rum und langweilte mich, während mein Sohn im Kindergarten war und vielleicht viel lieber zu Hause bei mir gewesen wäre. Ich fühlte mich schlecht.
Gleich nach dem schlechten Gewissen kam dann jedoch die Wut in mir hoch. Die Wut auf das starre Betreuungssystem in Deutschland. Und ich ärgerte mich (wieder einmal) tierisch still und leise zuhause auf meinem Sofa.
Glaubt man den Nachrichten, bin ich eine unter Millionen Schichtarbeitern in Deutschland. Jeder sechste Arbeitnehmer in unserem Land arbeitet im Schichtdienst, jeder Vierte am Wochenende. So wie ich. Das sind Ärzte, Busfahrer, Moderatoren, Krankenschwestern, Altenpfleger, Pförtner, Bäcker, Justizvollzugsbeamte, Redakteure und viele andere. Oder wie ich Schichtarbeiter in der Industrie. Leute so wie ich arbeiten zu unregelmäßigen Arbeitszeiten und an unregelmäßigen Wochentagen. Das ist eben so und mir macht meine Arbeit trotz allem Freude.
Wenn das Problem mit der Kinderbetreuung nicht wäre. Denn der Kindergarten richtet sich nicht nach mir und meinen Arbeitszeiten. Ich wurde auch nie gefragt, was und wann oder ob ich arbeite. Das interessiert den Kindergarten nicht. Denn die Öffnungszeiten der Kindertagesstätte sind klar geregelt. Jeden Tag von 7 bis 17 Uhr und freitags nur bis 16 Uhr. An diesen Zeiten hat sich vermutlich in den letzten Jahrzehnten nicht viel geändert. Dabei können wir schon froh sein, dass unser Kindergarten erst um 17 Uhr schließt. Andere (vor allem kirchliche) Einrichtungen schließen oft schon viel früher. Trotzdem macht unserer kleinen Familie dieses doch große Zeitfenster viele Probleme. Und das liegt an den Arbeitszeiten von Papa und mir.
Ja, ich kann jetzt schon die Kommentare vor mir sehen, die da sagen, dann arbeitet halt weniger oder etwas anderes. Wobei das „wie viel“ arbeiten gar nicht die Frage ist. Das Problem ist vielmehr das „wann“. Ich arbeite Vollzeit 35 Stunden die Woche. Wenn ich sonntags arbeiten muss, dann habe ich unter der Woche einen Tag frei. Klingt super und ist es auch. Denn am Sonntag ist Papa immer zuhause. Das heißt, die Betreuung unseres Vierjährigen ist gesichert und es ist Papa-Exklusivzeit. An meinem freien Tag unter der Woche gibt es ebenfalls keine Probleme. Da hole ich Junior schon sehr früh aus dem Kindergarten und dann machen wir nur, was uns Spaß macht.
Doch zurück zum Anfangsproblem. Ich sitze mittags auf dem Sofa und hätte Zeit. Eine Menge Zeit sogar. Doch ich muss mein Kind bereits um 8.30 Uhr (spätmöglichste Bringzeit) in den Kindergarten geben, auch wenn ich erst am Nachmittag das Arbeiten anfange. An diesen Tagen meldet sich dann eben (oft) mein schlechtes Gewissen und die Wut kommt. Eigentlich könnte ich als Mama in dieser Zeit für mein Kind da sein, ich habe ja Zeit. Ärgerlich ist an diesen Tagen auch, dass ich mein Kind den ganzen Tag über nicht sehe und abends nur am Telefon Gute Nacht sagen kann. Wenn ich Feierabend habe, liegt der kleine Knirps bereits im Bett und schläft.
Als wir vor über einem Jahr den Kindergarten für Junior ausgesucht haben, hatte ich mit der Kindergartenleitung auch ein Gespräch über meine Arbeitszeiten. Ich fragte auch, ob ich meinen Sohn an manchen Tagen (vielleicht 1 oder 2 mal die Woche) einfach auch später in die Gruppe bringen könnte. Das Gesicht der älteren Dame sehe ich heute noch genau vor mir. Sonderwünsche unerwünscht. Sie erzählte etwas von Kernzeiten und vom Freunde finden … Nicht falsch verstehen. Die Argumente verstehe ich ja. Aber sie muss bitte auch verstehen, dass ich mir in der Mama-Seele weh tut, meinen Sohn ein paar Tage am Stück immer nur morgens kurz zu sehen. Ich wollte meinen Sohn ja auch nicht jeden Tag später bringen, sondern nur ein, zweimal die Woche und auch nur dann, wenn ich eben Spätschicht hatte.
Und dann denke ich mir … Ich bin doch in unserem Land beiweiten nicht die einzige berufstätige Mutter mit anormalen Arbeitszeiten? Oder gibt es um mich herum wirklich nur Teilzeitmütter oder Hausfrauen? Das kann ich mir nicht vorstellen? Und wer hat denn heute noch Nine-to-Five-Arbeitszeiten oder gar Gleitzeit? Es muss doch eine praktikable Möglichkeit geben, die Bring- und Abholzeiten einer Einrichtung flexibler zu gestalten? Für alle Krankenschwestern und Polizistinnen dieser Welt.
Dafür bezahle ich dann auch liebend gern höhere Gebühren, wenn ich dafür mehr von meinem Kind habe und mein Kind mehr Zeit mit mir.
Liebe Grüße
Anke
12 Kommentare
Monika von Little-Post
24. März 2017 at 9:37Liebe Anke,
ein schöner Beitrag, mir gefällt Dein Schreibstil. Das Problem der Schichtarbeit und den Kindergartenzeiten war mir gar nicht bewusst, weil ich selbst noch nie in diesem Modell gearbeitet habe. Klingt aber wirklich nach einem Problem, an welchem Kindergärten in Deutschland arbeiten sollten. Denn du hast recht, du hast schließlich nicht unbegrenzt und flexibel Zeit, dann solltest du doch eigentlich in deiner Freizeit selbst entscheiden, ob und wann du deinen Sohn sehen kannst. Ich hoffe hier findet sich für dich noch eine Lösung.
Liebe Grüße,
Monika
Nadine
8. September 2017 at 13:06Ich arbeite auch im Schichtdienst, ich habe eine Woche am Stück Frühdienst und eine Woche Spätdienst. Ich sitze also auch zuhause auf dem Sofa bis nachmittags. Unsere Kita ist vertraulich nicht ganz so streng, ich darf meinen Sohn auch erst um 9:30 bringen wenn ich das möchte. Ansonsten würde ich auch verzweifeln! Ich frage mich so oft, wie andere das schaffen. Gerade im Einzelhandel und tausend anderen Branchen hat man eben nicht um 16 Uhr Feierabend. Kein Wunder, dass immer weniger Frauen überhaupt noch Kinder wollen. Und was ich auch erlebt habe: ganz viele Mütter haben ihren Job aufgegben, um nur noch 20 Stunden oder auf Minijobbasis zu arbeiten. Geht ja oft nicht anders, und wenn der Partner genug verdient, nehmen die das in Kauf. Ergebnis: berufliches Aus, Abhängigkeit, keine Rentenansprüche … Manchmal frage ich mich, ob ich nicht risikobereit genug bin für Familie! Einen neuen Job werde ich so schnell auch nicht finden. Bin genauso ratlos 🙁
CK
21. Februar 2018 at 15:08Noch schlimmer wird es mit Schulkindern… Am besten ist noch der Frühdienst. Da hat man wenigstens am Nachmittag was von seinen Kindern. Auch wenn ich nur Teilzeit arbeite, muss ich immer ganze Arbeitstage arbeiten. Ist wirklich nicht so einfach… Und meine Kinder sind schon 9 und 13. Nachts und spätabends kann ich sie ja aber trotzdem nicht alleine lassen. Man ist immer auf andere angewiesen.
Nadine
27. Februar 2018 at 16:37Ich finde es gerade sogar ohne Schichten und in Teilzeit schwierig ?
Emmi
28. Juni 2018 at 10:48Kann man denn nicht in den Schichtplan eintragen, wann die Kinder geholt werden müssen? Es wäre sicher für alle sehr viel angenehmer, wenn man wüsste, warum der eine Kollege am Mittwoch immer so früh gehen muss. Man muss nicht weniger arbeiten, nur die Schichten vernünftig miteinander absprechen.
Anke
29. Juni 2018 at 8:34Bei uns werden schon fleißig Schichten getauscht. Da sind die Kollegen schon sehr flexibel. Doch nur Frühschicht geht eben auch nicht. Also bleiben die Spätschichten immer ein gewisses Problem.
LG Anke
Miriam
17. März 2019 at 21:46Vor dem Problem stehe ich in 2 Monaten auch! Arbeite im Einzelhandel und Kind muss um 16:45 vom Kindergarten geholt werden! Der Laden hat aber bis 20 Uhr geöffnet! Da muss man sich von dem wenigen Gehalt zum teuren Vollzeit-Kindergarten noch einen Babysitter oder Tagesmutter leisten… Einen Anspruch wenigstens in der Kleinkindphase nur oder vermehrt Frühschicht zu arbeiten gibt’s nicht! Selbst beim AA bekam ich gesagt, dass dies mein persönliches Problem sei! Da fragt man sich schon warum man ein Kind bekommen hat, wenn man es dann garnicht/kaum sieht!
Anke
18. März 2019 at 9:28Oh, das klingt nach einem echten Problem. Da die Betreuung abzudecken wird nicht einfach werden. Wir sind deshalb sooooo froh, dass wir auf die Omas zurückgreifen können. Die sind Gold wert!!! Es ist ja immer ein zweischneidiges Schwert. Man hat einen Beruf gelernt, in dem Schichtarbeit eben erforderlich ist. Wenn es uns in diesen Berufen nicht geben würde, gäbe es einige Dienstleistungen in der Form gar nicht. Ich habe mir auch schon sagen lassen müssen, warum ich denn ein Kind habe, wenn es mit der Arbeit so schwierig ist. Da sollte ich doch zu Hause bleiben oder eben was anderes arbeiten. Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Ich wünsche euch jedenfalls, dass ihr eine gute Betreuungsmöglichkeit findet und alle damit zufrieden sind. Und das Wichtigste ist, wenn man Zeit mit dem Kind verbringt, dass dann alles Andere einmal liegen gelassen wird. Qualitytime!!!
LG Anke
Miriam
19. März 2019 at 10:46Danke Dir! Großeltern haben wir nicht in der Nähe. Ich muss mir ständig anhören, dass ich mir doch einfach einen Bürojob suchen soll! Als ob das soooo einfach wäre! Diese Stellen sind scheinbar rar gesät und wenn dann meist über Zeitarbeitsfirmen ausgeschrieben! Auch eine Umschulung zu der ich bereit wäre wird nicht über das AA unterstützt, da es keine Notwendigkeit dazu gäbe; meinen Beruf kann ich ausüben und Kinderbetreuungszeiten sind, wie gesagt, mein persönliches Problem! Ich finde, dass die Politik sich über solche Dinge auch mal Gedanken machen müsste! Im Einzelhandel wird ständig nach noch längeren Öffnungszeiten und Sonntagsöffnung geschrien, aber das dort Angestellte auch ein Familienleben haben und die Kinderbetreuung zu sämtlichen Uhrzeiten gesichert sein muss daran denkt keiner! Ebenfalls denkt auch keiner daran was eine Verkäuferin gerade mal verdient dafür, dass sie heutzutage einen Knochenjob leistet und ständig flexibel einsetzbar sein soll! Die Öffnungszeiten der Kitas müssten ebenfalls dringend überdacht werden!
Lena
27. Oktober 2020 at 8:53Liebe Anke, danke für den tollen Beitrag. Schichtarbeit ist und bleibt für eine Frau mit einem Kind immer Herausforderung. Ich arbeite auch im Schichtdienst und auf Dauer ist es gar nicht mehr angenehm… Da suche ich schon was anderes wo es sich keine Schichten gibt. Liebe Grüße
Liz
28. Dezember 2020 at 22:14Wir stehen demnächst vor den gleichen Problem. Im Rettungsdienst arbeite ich 12h am Stück, entweder tags oder nachts. Meine bessere Hälfte arbeitet zwar nur 8h, seine Stelle muss aber auch rund um die Uhr besetzt sein. Somit können wir beide nicht an einen bestimmten Tag früher Schluss machen.
Zudem liegen die Schichten von uns auch noch so versetzt, dass und meisten nur ein bis zwei Stunden fehlen, um das Kind selbst an uns zu übergeben. Kindergarten hilft uns wegen den starren Öffnungszeiten leider nicht weiter, das Problem an Wochenenden und nachts bleibt ja bestehen…
Ich habe bisher leider noch nichts gehört, dass sich da jemand Gedanken machen würde, aber schön wäre eine Anpassung an die heutige Zeit trotzdem. Und auch nötig wie ich finde
Julz
22. September 2021 at 18:12Ich bin ganz bei dir und habe das selbe Problem. Dein Brief ist toll, vielleicht sollte man damit mal eine Petition auf den Weg bringen.